“Was macht ihr eigentlich, wenn kein Cambio Kurs ist?” Diese Frage höre ich oft. Es fällt mir schwer, darauf zu antworten. Grund dafür ist das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen für meine Arbeit bei Cambio. Eine Missionarin, die zwischen zwei Jahrgängen quasi “arbeitslos” ist?
Im Sinne der Transparenz und Autentizität daher nun ein Einblick in unser ganz normales Leben hier zwischen März und September, also wenn es keinen festgelegten Arbeitsauftrag gibt. So sieht unser Alltag aus, mitten in der letzten Vorbereitungswoche für den fünften Cambio Jahrgang.
Mein Blick geht zum Fenster und ich prüfe, ob hinter dem dunkelgrünen Vorhang bereits Morgendämmerung zu erkennen ist – nein – was bedeutet, dass ich noch vor 7 Uhr und vor meinem kleinen blonden Wecker in den Tag starten werde. Perfekt. Leise aus dem Bett geschlüpft brühe ich mir eine frische Tasse Kaffe und schaue für ein paar Minuten dem Tageslicht auf der Straße dabei zu, wie es heller wird.
Mama – Agua“ mit diesen Worten macht sich kurz darauf Theo im Nebenzimmer bemerkbar. Mit einer großen Portion Müsli mit Gofio nimmt der Tag langsam an Fahrt auf. (Gofio ist das typisch kanarische Maismehl, das für einen waschechten Canario, wie Theo einer werden will, auf jeden Fall in einem Frühstück enthalten sein muss). Während Theo neben mir Löffel für Löffel sein Müsli verspeist, versuche ich ein Kapitel im Matthäus Evangelium zu lesen. Unterbrochen von zu vielen „Mhm“s und Lesepausen, da Theo meine Aufmerksamkeit fordert, lege ich das Buch zur Seite. Schon ok denke ich mir, habe ja noch den ganzen Tag… gegen halb Acht übernimmt Tobi den Theo-Dienst. Ich schmeiße mich in gemütliche Sneaker und luftige Klamotten, dankbar darüber, dass ich auf der Arbeit Tragen kann, worauf ich Lust habe und ziehe nach eine flüchtigen Kuss für meine Männer auf den Weg zum Cambio Haus.
Zehn Minuten sind es zu Fuß bergab zum Cambio Haus. Ich nutze die Zeit, um längst überfällige Sprachnachrichten zu beantworten. Eine an meine Schwester im Urlaub, eine Info an eine Teilnehmende und ein kurzes Schwangerschafts-Update an meine beste Freundin.
Dann beginne ich meine Arbeitszeit. Nach einem dreitägigen Teambuilding im Cambio Haus stecken wir inzwischen mitten in den Vorbereitungen des neuen Cambio Jahrgangs. Der Großteil der Absprachen und der Organisation mit den neuen Teilnehmenden liegt in meiner Verantwortung. Und davon gibt es zwei Wochen vor Kursstart jede Menge: Flux die Infomail mit Packliste versendet, dann mit etwas Hirnschmalz die vorläufige Zimmereinteilung festgelegt (das ist für mich ein spannender Moment, da ich nach einem einzigen Anmeldegespräch einschätzen muss, wie ich die Teilnehmenden für sechs Monate auf die Stockbetten der Doppelzimmer verteile – bisher hat es „Gott sei Dank“ immer echt gut gepasst.) Die Frage, wie wir dieses Jahr die Arbeitsgruppen einteilen, bleibt unbearbeitet auf meiner To-Do Liste zurück.
Gegen 10 Uhr füllt sich das Cambio Haus mit meinen Kollegen. Zwischen Kaffeeautomat und gemütlicher Co-Working Atmosphäre in der Halle, tauschen wir uns über den aktuellen Stand der Vorbereitungen aus und quatschen darüber, was so ansteht…
Einmal mehr merke ich, wie glücklich ich über die flexible Arbeitsatmosphäre bin und das vertraute Zusammenarbeiten mit meinem Kollegen.
Noch einen Instagram-Post formulieren und nachdem die Blumen gegossen sind (jaja, auch sowas gehört zu meinem Job) schwinge ich mich in meine Sportklamotten, denn ich habe mich mit Mica vor dem Mittagessen noch zu einer Runde Schwitzen verabredet…
Der Rückweg zum Mittagessengestaltet sich etwas schweißtreibender, denn die Höhenmeter, die ich morgens bergab laufe, muss man mittags in die andere Richtung zurücklegen. Doch mit dem Aufschließen der Haustüre steigt mir bereits der vertraute Geruch von unserem Mittagessen in die Luft – Ofengmüse. Ein Klassiker, wenn Tobi Küchenchef ist. Beim Mittagessen tauschen wir uns kurz über die Ereignisse des Vormittags aus. Wichtige Fakten, wie die Pipiquote unseres Sohnes in Töpfchen und Unterhose, Schaltzeiten und Ereignisse aus dem Cambio Haus. Sozusagen der Schichtwechsel, denn nach meiner 20 Minuten Schwangerschafts-Siesta bin ich dran mit Theo-Dienst, während Tobi runter zu Cambio läuft, um seine Arbeit dort zu erledigen.
Heute steht für Theo und mich auf dem Programm: eine Runde Bus fahren in die Stadt zu Mia und Chiara (den Töchtern unserer Kollegen). Für Theo ist der Ausflug ein absolutes Highlight. Seine Begeisterung äußert er darin, der Busfahrerin und allen Mitfahrern ein lautes Hallo zuzurufen, begleitet von einer wilden Winkbewegung und anschließend wird jede neue Entdeckung lautstark mit Wow oder Uiiiii kommentiert. Ich nutze den Moment und gönne mir ein paar Zeilen Matthäus in meiner Bibelapp.
Abends kommt Tobi dazu und wir wagen einen Testlauf in der Wohnung unserer Kollegen, die zum Zeitpunkt der Geburt die Betreuung von Theo übernehmen wollen. Doch drei blonde Kinder in einem Zimmer schlafen zu legen, mündet statt in ruhigen Träumen im absoluten Chaos. Nach einer Stunde Hin-und-her über den Hausflur erklären wir den Probelauf für gescheitert. Die Kids schlafen in verschiedenen Zimmern ein und wir kommen endlich zu unserer Pizza und einer Runde Dogs mit unseren spanischen Freunden. Kurz vor Mitternacht fallen wir todmüde aber erfüllt wieder in unser Bett.
So sieht er aus, unser Alltag. Kommende Woche allerdings, sehen die Tage bereits ganz anders aus. Dann heißt es Leben teilen mit 16 Jugendlichen und Eingewöhnung von Theo in den Kindergarten – es wird nicht langweilig. Eine wilde Mischung aus Job und Privatleben. Wir versuchen das Beste aus beiden Kulturen in unser Leben einfließen zu lassen: spanische Spontanität vermischt mit deutscher Tagesplanung – und meistens gelingt uns das auch.
Mehr über unseren Job: Wie ich meine Berufung als “Missionarin” über die Jahre verändert hat.