Während meine Hände in sorgfältiger Akkordarbeit unsere Gläser in Packpapier wickeln und in eine alte Weinkiste stellen, hat mein Kopf Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was in unserem Leben gerade eigentlich passiert.
Heimatgefühle.
Seit Wochen frage ich mich bei allem, was ich in unserer Wohnung benutze: “Wie wichtig ist mir dieser Gegenstand? Einlagern, aussortieren oder mitnehmen?” Es ist verrückt, wie viele Sachen wir ohne mit der Wimper zu zucken weggeben konnten. Nur wenige Dinge fallen in die Katerogie “mitnhemen”.
Unsere Kaffemühle ist eins dieser Dinge. Wenn ich morgens aufwache und mein Gehirn in windeseile die aktuelle Version des geplanten Kalendertages aufruft, bringt mich das manchmal direkt aus der Ruhe. Und dann höre ich an solchen Morgenden das vertaute Geräusch unserer scheppernden Kaffemühle und weiß insgeheim, dass dieser Tag ein guter Tag wird. Denn dann habe ich die Tasse mit liebevoll gebrühtem und duftendem Kaffe in meiner Hand und kann in Ruhe den Tag beginnen. Dieses Heimatgefühl nehmen wir also mit nach Gran Canaria.
Besitztümer.
Inzwischen sieht man unserer Wohnung an, dass unsere Tage darin gezählt sind. Der Stapel Kisten in unserem Arbeitszimmer wächst und das Öffnen von Schränken lässt leere Fächer und Schubladen zum Vorschein kommen. Vieles ist schon verstaut und die wichtisten Dinge für Gran Canaria müssen am Ende in zwei Koffer und drei Umzugskisten verpackt werden. Nicht viel, aber verglichen zur ersten Generation der Missionare ein wahrer Luxus. Die durften ja tatsächlich nur das mitnehmen, was sie am Leib trugen. Plus einen Kollegen als Absprungparter und Weggefährten. Kein zweites Paar Schuhe, keinen Geldbeutel, keinen Rucksack mit leckerem Vesper, nichts. Zugegebener Maßen bin ich wirklich froh, dass Tobi und ich als Missionare immerhin “leichtes Gepäck” mit auf die Insel nehmen können. Gleichzeitig sehe ich aber auch wirklich einen Vorteil darin, unser Gepäck auf die notwendigsten Dinge zu reduzieren. Denn Besitz ergreift auch Besitz von uns. Will ich mein Herz an materielle Dinge hängen? Ist es mir so wichtig, für jedes Wetter die passenden Schuhe dabei zu haben? Muss ich meine Kuchenform einpacken, oder bin ich mutig genug, auf Gran Canaria bei meinen Nachbarn zu klingeln und dort eine auszuleihen? Oder lasse ich mich sogar einfach von anderen Leuten zum Kuchenessen einladen? Wenig Besitz stellt uns vor die Herausforderung, kreative Lösungen zu finden und auf andere Menschen angewiesen zu sein.
Abschied.
Ich war noch nie gut im Abschiednehmen. Diese emotionalen Momente überfordern mich. Wenn unser Fortgehen der Grund ist, dass Menschen traurig sind, dann macht auch mich das traurig. Ich will gar nicht davon anfangen, wenn andere Leute weinen, meine Spiegelneuronen Vollgas geben und auch mir die Tränen über die Wangen kullern. Am Liebsten würde ich heimlich nachts meine Koffer und meinen Mann packen und einfach gehen. Ohne Tschüss zu sagen und ohne weinen zu müssen. Und dennoch weiß ich, wie wichtig Abschiede sind und wie schön es ist, zu wissen, dass man vermisst wird. So haben wir letzte Woche ein Tübingen-Abschiedsfest gefeiert und uns von Freunden, vom Studium, von Alltagsgwohnheiten und von unserer Wohnung mit großem Garten verabschiedet. Es war ein wunderschönes Fest mit Sonne, schmelzendem Schokoladenkuchen, leckerem Grillfleisch, Erzählungen über die-guten-alten-Zeiten in einem Garten voller wertvoller Menschen. Auf den Fotos bekommt ihr eine Idee von diesem besonderen Abschieds-Tag.
Uns ist der Grund unseres Ausreise so klar vor Augen, dass uns der Abschied einigermaßen leicht fällt. Wir sind bereit aufzubrechen und unseren neuen Lebensabschnitt zu beginnen.
Aufbruch.
Mission bedeutet Auftrag, Sendung und Aufbruch.
In unserem Aussendungsgottesdienst ging es um Aufbruch. Petrus, der bei einer stürmigen Nacht mitten auf dem See Genezareth in Israel die Herausforderung annimmt, aus dem Boot zu steigen und zu Jesus übers Wasser zu gehen. Er läuft tatsächlich auf dem Wasser. Was ein Wunder. Was für eine krasse Erfahrung. Doch dann wendet er sein Blick von Jesus ab. Schaut auf die Wellen. Fragt sich, was für eine bescheuerte Idee das wohl war. Und er sinkt. Er schafft es nicht. Wieder eine der vielen Geschichten von Petrus, in denen er den Mund zu vollgenommen hat?
Gerne möchte ich euch an Gedanken der Predigt teilhaben lassen, die Aufbruch für mich nochmal in ein neues Licht gerückt haben.
„Wenn wir aus dem Boot steigen – was auch immer dieses sichere Boot gerade ist – kann es passieren, dass wir sinken. Wer aufbricht und aus dem Boot steigt, geht das Risiko ein, unter zu gehen. Diese Möglichkeit gehört grundsätzlich dazu. Glaube ist immer ein Risiko, Aufbrechen ist immer ein Risiko. Wenn wir uns auf Neues einlassen, riskieren wir, dass wir Altes aufgeben müssen (liebgewonnene Ansichten, langjährige Gewohnheiten, tief verwurzelte Glaubenssätze). Wer mit Jesus unterwegs ist, wird immer wieder mit Aufbrüchen konfrontiert werden. Darum geht es in der ganzen Bibel. Aufbrechen in der Nachfolge ist immer eine Entscheidung zwischen Gemütlichkeit und Angst.
Wer nie aus dem Boot steigt, kann sich sicher sein, dass er nie auf dem Wasser laufen wird. In uns ist etwas – ist jemand – der uns sagt, dass unser Leben aus mehr besteht als nur daraus, im Boot zu sitzen. Etwas in uns will aufs Wasser – fordert uns auf, Routine und Bequemlichkeit zu verlassen. Und doch halten uns unsere Ängste und Zweifel, die Angst vor dem Scheitern, immer wieder zurück. “Das kann ich nicht, das kann nicht funktionieren, das ist nicht zu bezahlen, das hat noch nie jemand gemacht…”
Irgendwann müssen wir einfach mal aus dem Boot steigen und sehen, ob das Wasser des Glaubens uns trägt. Petrus scheitert, aber davor ist er einige Schritte auf dem Wasser gelaufen – das ist das ein wesentlicher Teil dieser Geschichte.“
Diese Worte werde ich so schnell nicht vergessen und mit Petrus, dem großmauligen und voreiligen Jünger, konnte ich mich in der Bibel schon immer gut identifizieren. Vielleicht sinken wir eines Tages ein und müssen uns von Jesus aus der Sch… ähhm aus dem Wasser ziehen lassen. Aber jetzt wagen wir erstmal den Schritt über die Reling und gehen los.
Aufbrechende Grüße.