Mein Mose Moment.
Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass ich auf einem kleinen Felsvorsprung saß und mit Gott über meine Zukunft hier auf der Insel diskutiert habe. Wenige Stunden zuvor hatten wir als Team die Entscheidung zur Frage gestellt, ob Tobi und ich für die kommenden Jahre die Projektleitung von Cambio übernehmen wollen.
“Nein – danke.“ War meine intuitive Antwort. Zu gewohnt waren meine Arbeitsbereiche und zu herausfordernd der Gedanke, direkt nach dem Mutterschutz eine ganze Menge mehr Verantwortung auf meine Schultern zu laden.
In diesem Diskurs machte mir Gott auf sehr liebevolle Art und Weise deutlich, dass der eigentliche Grund, der mich von dieser Aufgabe abhielt, meine Angst davor war, Fehler zu machen.
Ein Jahr später schaue ich auf viele fehlerhafte Momente in meiner Rolle als Projektleitung zurück. Kulturelle Missverständnisse. Fehlentscheidungen. Konflikte im Leitungsteam mit Tobi. Momente der Unsicherheit und der Überforderungen. Ich habe Menschen enttäuscht und wurde auch selbst enttäuscht. Und dennoch erfüllt mich die neue Rolle mit Freude und ich blicke auf viele Momente zurück, in denen ich in meiner Persönlichkeit und Erfahrung gewachsen bin.
Fehler passieren.
Allein in der vergangenen Woche sind in unserem Haushalt vier Gläser zu Bruch gegangen, drei Viertel davon habe ich zerschmettert. Als Theo am Frühstückstisch seine Schale voller Müsli auf den Boden gefallen ist, war seine Reaktion nach einem kurzen Moment des Schrecks: „Nicht so schlimm Mama, wir kaufen einfach eine Neue…“
Abgesehen von dem kapitalistischen Konsumgedanken dieser Aussage ist es eine wertvolle Lektion, die mein dreijähriger Sohn bereits über eine gesunde Fehlerkultur gelernt hat: Ja, wenn uns uns Fehler unterlaufen dürfen wir uns erschrecken, wir dürfen traurig und frustriert sein, auch Tränen gehören zum Scheitern dazu. Aber dann ist es dran, nach einer Lösung für das „Zerbrochene“ zu suchen.
Ein Gespräch, das eine kaputte Beziehung kittet. Eine Entscheidung, die eine Fehlentscheidung entschärft. Vergebung für sein eigenes Fehlverhalten auszusprechen.
Wir dürfen lernen, nachsichtig mit uns zu sein.
Als ich vor einigen Tagen krank im Bett lag und viel Zeit zum Grübeln hatte, habe ich den genialen Film „Phantastische Tierwesen – Dumbledores Geheimnisse“ gesehen. Nicht nur Harry Potter Fans wissen, dass sich in dem Charakter des weißhaarigen Schulleiters von Hogwarts unfassbare Weisheit und Stärke in Form eines mächtigen und gütigen Leiters vereinen. Doch in diesem Film geht es um die jungen Jahre des einflussvollen Zauberers und darum, dass auch Albus Dumbledore als junger Mann schwerwiegende Fehlentscheidungen getroffen hat. Sein Wegbegleiter und guter Freund Newt Scamander entgegnet ihm in einem selbstkritischen Moment:
„..dass wir im Grunde genommen alle unvollkommen sind. Aber selbst wenn wir Fehler begehen und Furchtbares anrichten, so können wir doch versuchen es wieder gut zu machen. Und darauf kommt es an, den Versuch.“
Was sagst du zu deiner Freundin oder deiner kleinen Schwester, wenn sie einen Fehler begangen hat? Und mit welchen Sätzen schmettern wir meist in Gedanken um uns, wenn uns selbst ein Fehler unterläuft?
Ich befürchte, dass im zweiten Fall weniger Liebe, Barmherzigkeit und Güte in unseren Worten stecken werden.
So ist es auch bei mir. Ich hasse es, Fehler zu machen. Ich vermeide Unsicherheit. Ich liebe es, Recht zu haben & die Kontrolle zu besitzen. Aber bedeutet dieses Verhalten nicht gleichzeitig, dass wir in unserer Entwicklung stagnieren? Dass wir es uns in einer Komfortzone gemütlich einrichten, statt unser gesamtes Potential zu entfalten und vielleicht eines Tages in einer einflussreichen Position landen, wo wir für das Gute einstehen? Fehler gehören zu dieser Entwicklung dazu und machen uns zu der Person, die wir sind. Egal ob das ein Albus Dumbledore oder eben ein Max Mustermann ist.
Und manchmal gibt es eine zweite Chance…
Im August vergangenen Jahres stapelten sich im Cambio Haus Berge von Matratzen von einer regionalen Jugendfreizeit hier auf der Insel. Einige Teilnehmende hatten sich in den Jahren zuvor über die unzureichend gepolsterten Matratzen in den Stockbetten beschwert und so nutzten wir die Möglichkeit, um die dünnen IKEA Matratzen gegen die dicksten und schwersten Federkernmatratzen auszutauschen, die der Matratzenberg zu bieten hatte. Wir säuberten sie sorgfältig und freuten uns darüber, dem Projekt so einen Mehrwert verschafft zu haben. Eine tolle Entscheidung, dachte ich mir insgeheim.
Nicht einmal zwei Monate später hörte ich die erste Beschwerde über die neu gewonnenen Matratzen. „Mein Rücken ist genau zwei Federn lang.“ Ein beiläufig gefälltes Kommentar, das im mir eine Welle des Zweifelns und der Unsicherheit auslöste. Mein Kopf füllte sich über Wochen hinweg mit dem zermürbenden Gedanken, dass diese Entscheidung falsch war und die Teilnehmenden quälende Nächte auf ungemütlichen Matratzen verbrachten. Doch ändern konnte ich nichts an dieser Entscheidung. Wir hatten keine Ressourcen, um mal eben 12 neue Matratzen anzuschaffen – die Teilnehmenden mussten also mit der Konsequenz dieser Fehlentscheidung leben.
Und dann gab es meine zweite Chance: Auf einem Foto im Gemeindechat sah ich unsere alten Cambio Matratzen, wie sie auf einem großen Stapel aufeinanderlagen. 8 Stück, die in der Gemeinde für eventuelle Besuche zwischengelagert wurden.
Nach einem kurzen Gespräch mit dem Pastor stand fest, dass wir für den kommenden Jahrgang unsere alten, dünnen aber immerhin gemütlichen Matratzen zurück bekommen würden.
WOW – ich meine wie schön ist es, dass Gott in dieser Kleinigkeit eine zweite Chance gibt. Für mich ist dieser Zwischenfall der Matratzen eine wichtige Lektion zum Thema Leiterschaft, die mich gelehrt hat meine Entscheidungen wohldurchdacht zu treffen & die Konsequenzen möglicher Fehlentscheidungen mitzutragen.
Meine Lektionen über Leiterschaft & einen gesunden Umgang mit Fehlern:
- Ich plädiere für mehr kindlichen Mut, Dinge auszuprobieren, auch auf die Gefahr hin, dass etwas zu Bruch geht. Denn durch jedes Scheitern gewinnen wir Wissen darüber, dass es so nicht geht und so etwas wie z.B. Schwerkraft existiert.
- Finde deinen eigenen Stil & sei keine Kopie einer Person, die du nicht bist. Lerne, deine Entscheidungen auf deine Art und Weise zu treffen. Deine individuelle Mischung aus Bauchgefühl und „wohldurchdacht“.
- Wir müssen lernen, geduldig und umsichtig mit uns selbst zu sein, denn Veränderung geschieht langsam. Egal ob wir uns zu fähigen Leitungspersonen entwickeln wollen, zu verantwortungsvollen Eltern, zu umsichtigen Bürgern, die die Natur respektieren und nachhaltige Werte leben wollen. Wir wachsen Schritt für Schritt in diese Rollen hinein & dabei stolpern wir gelegentlich. Wir werden Fehler machen und davon nicht wenige. Aber durch jeden Fehler lernen wir wichtige Lektionen über uns selbst und über unsere Rollen.
“Veränderung geschieht nicht über Nacht, sondern allmählich, wie die Bäume und die Gezeiten.” [Honigdusche]
Ein Kontrollfreak – ja das bin ich nach wie vor. Aber genauso wie Mose hat Gott mich davon überzeugt, dass ich dieser Aufgabe gewachsen bin. Lest doch mal 2. Mose, Kapitel 3 – ich liebe diese Unterhaltung zwischen Mose und Gott sehr.
Darin versucht sich Mose mit aller Kraft gegen den Auftrag zu stemmen,
den Gott ihm übertragen möchte. Und Gott lässt sich auf diesen Diskurs
ein, er lässt mit sich reden, hört sich Moses Bedenken und an antwortet ihm: “Ich will mit dir sein.” Und einen ähnlichen Zuspruch habe auch
ich bekommen. Jetzt habe ich diesen Job ein Jahr ausprobiert, eine selbstgewählte Probezeit in meiner neue Rolle. In herausfordernden Momenten und kritischen Entschiedungen hatte ich oft diesen einen Satz im Kopf: “Ich trage die Verantwortung für das Projekt mit, denn es ist mein Herzensanliegen.” – Gott.