Es ist Mittwoch Mittag, unsere Arbeitswoche ist gerade erst zwei Tage alt, doch mein Energieniveau fühlt sich eher nach Freitag an. Wir stecken mitten im Alltag: Der neue Cambio Kurs ist angelaufen, Theo und Ella wurden erfolgreich in einen neuen Kindergarten eingewöhnt. Dann kommen die ersten Kitakeime, Ella muss daheim bleiben und rein in eine Woche voller Improvisation: Tobi und ich geben uns an vielen Tagen die Klinke in die Hand und laufen mit schnellem Schritt den steilen Anstieg zwischen Arbeit und zu Hause hinauf und hinunter. Es scheint, als würde mein Leben gerade auf der Überholspur an mir vorbeirasen. Es ist also Zeit, um mir meine zweite wichtige Lektion über in Erinnerung zu rufen.
Lektion 2: SHABAT – die Kunst des Innehaltens, denn mein ganz normales Leben ist genug.
Vieles in der Schöpfung hat einen Rhythmus. Tag und Nacht. Die Jahreszeiten. Blüte & Ernte. Der Monatsyzklus der Frau. Hunger und Sattheit. Und eben auch Arbeit und Ausruhen. Es scheint also, als ob Rhythmuswechsel ein wichtiger Teil unserer (menschlichen) Natur ist. So auch der Wechsel zwischen Anstrengung und Entspannung. Gott selbst hat nach diesem Gebot gelebt. Auf den ersten Seiten der Bibel lesen wir, dass Gott nach der Fertigstellung der Welt einen Tag lang von seiner Arbeit ausgeruht und sein schöpferisches Werk genossen hat.
Das Innehalten scheint somit ein wichtiges Prinzip zu sein, dass es sogar in die zehn Gebote geschafft hat, also das wichtigste Regelwert der Christenheit (lies mal nach im Buch 2.Mose 20,1-17). Ist das nicht interessant? Nicht das Gebet, nicht der Gottesdienstbesuch, sondern das Ausruhen ist für Gott so entscheidend, dass er es uns als Grundregel für ein gelingendes Zusammenleben aufträgt.
Innehalten ist essentiel für unsere emotionale Gesundheit und unser geistliches Leben.
Einen Tag Ruhe in der Woche ist also das Minimum für ein Wohlbefinden von uns Menschen! Die Juden nennen es Shabat, die Christen Sonntag, die Muslime nutzen den Freitag als wöchentlichen Ruhetag.
In meinem bisherigen Leben war dieser Tag immer sehr besonders. Oft waren wir als Familie sonntags bei meiner Oma essen. Wir haben uns mit befreundeten Familien getroffen. Wir haben Ausflüge unternommen und schlichtweg Zeit gehabt. Auch in meiner Studienzeit habe ich im Trubel der Klausurenphase und Abgaben diesen einen Tag in der Woche zur Erholung und für Gemeinschaft genutzt.
Unser Shabbez (wie ich den Ruhetag inzwischen nenne) ist in unserem aktuellen Lebensmodell flexibel. Es ist nicht mehr der Sonntag, sondern die Zeit von Sonntag Abend bis Montag Abend. Ein zeitlicher Rahmen, in dem wir das genießen können, das unser Leben erfüllt – mit Gott. Das kann ein Spaziergang sein, statt im Internet zu scrollen. Statt die Wäsche zu waschen, mit Freunden Zeit in der Natur verbingen. Und statt Fast Food zu kaufen, kochen wir zu Hause. Wir leben einen Schritt langsamer, hören in uns hinein und achten auf unsere Bedürfnisse. Verseht mich nicht falsch, mir geht es nicht darum, ob man sich an diesem Tag nun um den Haushalt kümmert oder nicht. Wenn ich merke, dass es mir hilft, abends eine Maschine Wäsche anzustellen, dann habe ich die Freiheit, das zu tun. Doch ich ändere das Tempo der Handlung. Beim Betreten der Dachterasse halte ich einen Moment inne, bestaune den Ausblick, der sich mir bietet und freue mich über den Sonnenuntergang, den ich genießen darf. Denn das, was den Shabbat ausmacht ist, dass es ein Tag ist, der uns Ruhe bietet von unserem lauten und eiligen Leben.
Eine Traumvorstellung oder Utopie?
Was wäre, wenn wir in unserer Gesellschaft diesen einen Ruhetag achten würden? Nicht einkaufen, nicht außer Haus konsumieren. Dann können Kellnerinnen und Kassierer, Verkäufer und Tankstellenbesitzer diese Zeit mit ihren Familien und Freunden verbringen. Alle Versandhäuser haben einen Tag Ruhe und auch die Menschen hinter den Nähmaschinen müssen nicht pausenlos produzieren, weil es auf der Welt ein siebtel weniger Konsum gäbe. Ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit einfach nur, weil wir einen Tag Ruhen. Ist die Lösung so leicht? Ich befürchte Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler bräuchten nicht lange, um das Gegenteil zu beweisen.
Dennoch halte ich mich so gut es geht an meine selbstgesteckte Pausezeit in der Woche und versuche dem Hamsterrad unserer Zeit für einige Stunden zu entfliehen. Das klappt mal besser, mal weniger gut. Mal verbringen wir einen Sonntag alleine in der Natur und eine anderen Tag schleiche ich die Treppen unseres Hauses nach Unten, um im Spar einen Liter Milch für meinen Nachmittagskaffe zu kaufen. Das Wichtige für mich an meinem Shabbez ist nicht vorrangig der „freie Tag“ in meinem Kalender, sondern dass er ein Tag der Anbetung ist, an dem wir uns Freiraum schaffen, um uns auf Gott auszurichten.
Meine Entdeckung: Shabat ist ein Verb.
Es ist etwas, das man tut. Eine Übung, eine Fähigkeit, die man verfeinert.
Wir üben, Zeit zu nehmen, das wertzuschätzen, was wir bereits haben. Wir sind dankbar. Wir freuen uns. Wir leben im Augenblick und versuchen für Gott präsent zu sein.
Was macht deinen Shabat aus?
Zeit mit der Familie / Ausschlafen / eine gute Tasse Kaffe / eine Stunde auf dem Fußballplatz mit Freunden oder doch ein Gottesdienstbesuch / die Zeit für einen spontanen Besuch von der Nachbarin?
Während ich diese Zeilen schreibe, fasse ich den Entschluss, gerade in den kommenden Wochen, in denen mein Kalender überquillt von Terminen und Deadlines, diese wöchentliche Verschnaufpause umso ernster zu nehmen.
Wenn wir diesen göttlichen Rhythmus erlernen, dann schaffen wir eine Möglichkeit nicht zu arbeiten, um uns Ruhe zu verdienen, sondern aus der Ruhe heraus zu arbeiten.
John Mark Comer
Wenn du mehr über den Zusammenhang zwischen Ruhe & Rastlosigkeit herausfinden, dann empfehle ich dir dieses Buch: Das Ende der Rastlosigkeit.