Seit einigen Wochen habe ich mir das Buch Micha als Lektüre aus der Bibel vorgeknöpft. Zeile für Zeile lese ich mich durch die teils abstrakten Absätze und versuche mir den Sinn zu erschließen. Ein Punkt, den Micha klar machen möchte ist, dass sich die Gesellschaft, in der er Leben, in einer Schieflache befindet:
Die Schwachen der Bevölkerung (damals die Witwen und Waisen) werden ausgegrenzt und benachteiligt, die Führenden des Volkes bevorteilen sich gegenseitig und die Propheten sprechen verzerrte Wahrheiten aus.
Bestechung, Lobbyismus, Korruption und Fakenews wären die neumodischen Beschreibungen für das, was schon vor hunderten von Jahren falsch lief. Damals meinten die Bewohner Judas, dass sie mit Geld Alles und Jeden kaufen können. Geld war Macht. Sie meinten, dass ihr Reichtum ihnen das Recht gab zu nehmen was sie begehrten, ihren eigenen Vorteil zu suchen und mit unfair verdienten Gewinnen noch reicher zu werden.
Geld ist Macht. Meinen nicht auch wir, dass unser Reichtum uns das Recht gibt, uns zu nehmen was wir begehren? Unseren eigenen Vorteil als Käufer zu suchen und mit unfair verdienten Gewinnen noch weniger Geld für ein Produkt auszugeben?
Damals wie heute geht es also im Grunde um das Gleiche: um soziale (Un)Gerechtigkeit. Ein Thema, das nicht nur ich wichtig finde, sondern das bereits Micha am Herzen lag und scheinbar auch Gott selbst.
Wie sehr sind wir Christen oft mit unserer kleinen Gerechtigkeit beschäftigt? Wie inbrünstig streiten wir über Fragen, in denen man durchaus verschiedener Meinung sein kann? Streitet für das Recht, sagt Micha. Nicht über das Recht.“
[J. Barthel]
Wieder einmal staune ich über die Aktualität der Bibel. Gerade letzte Wochen wurde sowohl im deutschen Bundestag als auch im europäischen Parlament ein Entwurf des Lieferkettengesetzes diskutiert bzw. verabschiedet. Dieses zielt darauf hin, dass wir als Konsumenten und Produzenten in Deutschland die Menschen, die unsere Produkte produzieren, gerecht behandeln. Die Armen und Wehrlosen der Weltbevölkerung nicht auszubeuten und nicht zu benachteiligen, sondern gerecht mit ihnen umzugehen. Ihrer Arbeit und ihrem Leben eine Würde zuzusprechen. Für solch ein Recht gilt es sich einzusetzen, egal ob Christ oder nicht.
Klingt das nicht präzise und einfach? Gut ist, was uns Menschen zugute kommt. Aber eben nicht nur uns selbst, sondern auch den Menschen, die um uns herum leben. Das ‚Gute‘ für unsere menschlichen Beziehungen im Allgemeinen geht über unser eigenes Wohlbefinden hinaus. Da geht es um Gerechtigkeit, um rücksichtsvolle Gemeinschaft und einem Handeln, dass sich an Gottes Werten orientiert.
Auch bei Cambio widmen wir ein gesamtes Modul der Planung und Umsetzung von sozialen Projekten. Dabei wollen wir unseren Teilnehmern beibringen, dass wir uns mit unseren Ideen und unserer Arbeitszeit für soziale Gerechtigkeit engagieren können. Dass sie die Macht haben, unsere Gesellschaft zu prägen und Stück für Stück die Welt zu verändern.
Ihre Projektideen sollen sie von bestehenden Problemen ableiten. Dabei ist der Leitgedanke, welche sozialen Problematiken sie in ihrer Umgebung beobachten und wie sie diese durch kreative und innovative Ansätze lösen können.
Natürlich ist es unmöglich, für unsere Projektmanagement-Novizen ein Projekt auf die Beine zu stellen, das innerhalb weniger Wochen die Welt großflächig verändert. Aber ich bin davon überzeugt, dass sie das Gefühl mitnehmen werden, etwas zur Fairness und sozialer Gerechtigkeit beizutragen.
In diesem Jahrgang haben sich die Teilnehmer unter anderem diesen Themen gewidmet:
Ein Teil der Lösung: Die Vermarktung eines nachhaltigen Cambio Labels, dass nicht nur auf die Produktion achtet, sondern gleichzeitig auch mit dem Aufdruck ‘Cambio para cambiar el mundo‘ (Deutsch: Ich verändere mich, um die Welt zu verändern) darauf aufmerksam machen will, dass kleine Veränderungen in unserem Denken und Tun auch unsere Welt verändern werden.
Das Problem: Lebensmittelverschwendung von noch genießbaren Produkten, die für den Verkauf als unbrauchbar aussortiert werden, obwohl doch Menschen auch in unseren Breitengraden zu wenig Zugriff auf gesunde Lebensmittel haben.
Ein Teil der Lösung: Einmal die Woche auf den Marktständen in der Altstadt Las Palmas Früchte und Gemüse zu sammeln, die sonst wegen kleiner Schönheitsmakel oder fauliger Stellen im Abfall landen würden. Aus diesen geretteten Lebensmitteln werden leckere Speisen zubereitet, verpackt und an bedürftige Familien und obdachlose Menschen in der Stadt verteilt.
Die Idee von nachhaltiger Veränderung findet sich auch in wirtschaftlichen Modellen wieder. Social Businesses machen es sich zur Aufgabe, statt einem rein ökonomischen Gewinn vornehmlich einen sozial-nachhaltigen Mehrwert zu schaffen. Dieser kann sowohl einen Vorteil für die Umwelt, als auch für die Gesellschaft bringen. Wundervollerweise sprießen soziale Wirtschaftsideen derzeit wie Unkraut aus dem Boden und ich meine darin ein Umdenken unserer Generation zu erkennen. Junge Verbraucher wollen mit ihrem Konsumverhalten Gerechtigkeit stärken und damit die zukünfitge Gesellschaft prägen.
Klar ist aber auch, dass unser Weltgeschehen nach wie vor von wirtschaftlichen Motiven dominiert wird. Trotzdem passiert bereits in vielen Köpfen ein Umdenken: dass beim Kauf von Mützen ein Teil des Gewinns dazu verwendet wird, einen Baum innerhalb eines Aufforstungsprojekts zu pflanzen (Nikinclothing); dass in Amsterdam Krachtenrundfahrten angeboten werden, bei denen die Gäste mit Käschern Plastikflaschen aus dem Wasser fischen und diese dann zu Blumentöpfen recyclet werden (Plasticwhale); dass in München eine Backstube betrieben wird, in der Omas und Opas köstliche Kuchen backen, um aus der Altersarmut rauszukommen (Kuchentratsch).
Ich wünsche mir mehr solcher Projekte, mehr gerechte Geschäftsmodelle und mehr innovative Ideen, die unsere globale Gemeinschaft zusammenhalten.