Willst du mein Freund sein?

Wir Leben auf einer Insel mit 800.000 Einwohnern. Davon lebt mehr als die Hälfte in Las Palmas und dennoch haben wir über ein Jahr gebraucht, um von uns behaupten zu können, dass wir echte Freunde gefunden haben. Es war unser größter Wunsch und gleichzeitig auch unsere größte Bedingung, um hier auf der Insel zu bleiben – Freunde finden, mit denen wir unser Leben teilen können.

Es gab viele Abende in den vergangenen zwei Jahren, in denen wir uns an den Esstisch von unseren Freunden in Deutschland zurückgesehnt haben, der beladen war mit Gesellschaftsspielen, leckeren Snacks und einem Feierabendbier. Es gab Momente, in denen wir schweigend nebeneinander im Auto saßen, erschöpft von der Anstrengung, unsere Gedanken und Gefühle auf spanisch in Worte zu fassen. Es war frustrierend, mit der Sprachbarriere auch einen Teil seiner Persönlichkeit zu verlieren. In der Heimat liebe ich es, an geselligen Abenden mit Freunden die  Entertainerin zu spielen, lustige Geschichten zu erzählen, aber auch tiefergehende Themen anzusprechen. Hier dagegen kann ich das nicht so ausleben, wie ich es gerne möchte.

 

Ich erinnere mich noch gut an die Begeisterung, als wir die ersten tiefgehenden Gespräche mit Spanier*innen geführt haben – denn das waren die Momente, in denen ich mich wieder wie ich selbst gefühlt habe und dadurch auch erste Freundschaften entstanden sind.  

Von Kokosnüssen und Pfirsichen

Zwischen Spanier*innen und Deutschen gibt es bezogen auf die Art, wie man Beziehungen lebt, einen anschaulichen Vergleich: Man beschreibt die Kulturen als Kokosnüsse und Pfirsiche. Wir Deutschen sind eine  Kokosnuss-Kultur, weil wir beim Kennenlernen zunächst etwas zurückhaltender sind und eine harte Schale haben. Ungerne geben wir in einem ersten Gespräch private Details heraus. Viel lieber reden lieber über das Wetter, den Job, belanglose Themen der Tagespolitik und vielleicht noch über unsere Vorlieben der Freizeitgestaltung. Zu Beginn halten wir Beziehungen eher oberflächlich. Aber sobald wir Vertrauen zu einer Person geschlossen haben und die harte Schale einmal geknackt ist, sind wir Profis darin, langjährige Freundschaften zu pflegen. Wie viele Jahre dauert eure längste Freundschaft?  

Die spanischsprachigen Länder klassifiert man stattdessen als Pfirsich-Kultur, weil man schnell schon an der Straßenecke mit ihnen in Kontakt kommt. Gerade gestern bin ich aus dem Auto ausgestiegen und habe mich geschlagene 15 Minuten mit einer wildfremden 90 Jährigen Dame unterhalten, die gerade aus ihrem Fenster geschaut hat. Ich kenne nun ihre gesamte Familienstruktur, ihre Vorlieben beim Frühstücken und und und… vergleichbar mit dem weichen Fruchtfleisch von einem Pfirsich kommt man mit Spaniern schnell in Kontakt, fühlt sich bereits nach dem ersten Gespräch sehr vertaut und hat das Gefühl, auf einer tieferen Ebene mit ihnen zu sein. Aber dieses vermeitlich tiefe Gespräch ist aus ihrer Sicht lediglich höfliche Unterhaltung – ein Indiz für eine entstehende Freundschaft ist das nicht.

Und hier kommt der Knackpunkt der Interkulutalität:

Kokosnüsse denken oftmals von Pfirsichen, sie seien oberflächlich, unseriös und nicht zu einer tiefen Freundschaft fähig. Pfirsiche dagegen nehmen Menschen aus Kokosnuss-Kulturen häufig als kühl und reserviert wahr.

Wie schafft man es also, über diese Unterschiedlichkeit hinweg Freundschaften zu knüpfen?

 

1. Ausdauer

Um den Pfirsichkern von Spanier*innen zu knacken, bedarf es vieler Gespräche und vieler Treffen, samt enormer Flexibilität bei der Terminvereinbarung. Freunde zu finden scheint nicht mehr so leicht, wie damals als Erstsemester im Studium. Abends sind wir an die Babyphon-Distanz zur Wohnung gebunden. Unter der Woche gibt es jede Menge Termine und ehrlich gesagt, sucht auch nicht mehr jeder in unserem Alter neue Freunde 🙂
Wenn aber nach viel hin und her und dreifachem Nachfragen dann doch ein Treffen arrangiert ist, ist das ein großer Erfolg.

2. Spontanität

Ich liebe eine strukturierte Woche! Aber ich habe auch bemerkt, wie wichtig es ist, meine Planung über den Haufen zu schmeißen, um in meinem Leben mehr Platz für Menschen zu haben. People over Program – das ist es, wonach die Spanier leben und bedeutet, oftmals spontan für 10 Personen ein Mittagessen zu organisieren, Theos Schlafrythmus außer acht zu lassen und einen quengeligen Sohn in Kauf zu nehmen oder die säuberlich terminierte Arbeit aufzuschieben… Weniger ‚ich sollte aber‘ zu denken und stattdessen das Momentum zu nutzen, um gute Gemeinschaft zu erleben. Das habe ich definitiv gelernt.

3. Leckeres Essen

Kein Treffen ohne Essen. Das scheint hier ein ungeschriebenes Gesetz zu sein. Manchmal ist es selbsgemachtes Sushi, ein frisch gebackener Kuchen oder einfach nur Pizzen vom Liferservice. Interessanterweise steht nämlich Essen nicht im Mittelpunkt der Gemeinschaft, sondern spannt lediglich den Rahmen, um stundenlang Zeit miteinander zu verbinden. Die Vorbereitung, die Gespräche am Tisch und auch das Geschirrspülen per Hand (denn der Großteil unserer Freude (und auch wir) haben keine Spühlmaschine) geben Anlass und Zeit für Begegnung. Alle helfen mit, alle packen mit an und am Ende brummt allen der Kopf von den lauten Gesprächen und dem vielen Gelächter.

4. gemeinsame Erlebnisse

Kaffetrinken ist schön, aber die besten Freundschaften entstehen bei Abenteuern. Ich erinnere mich an einen Sonntagsausflug, an dem wir (Kinder-bedingt) viel zu spät loskamen und am Ende mitten in der Hitze der Siesta vollgepackt mit Kletterausrüstung, Picknick und all dem Kram, den man als Eltern so braucht, samt einer HOCHschwangeren durch ein staubiges Tal marschierten. Der eigentliche Zugang zum Kletterspot war gesperrt, sodass wir einen riesigen Umweg nehmen mussten.

Dieser Ausflug war maximal chaotisch und absolut grenzwertig (denn zur Entbindungsstation hätten wir viel zu lange gebraucht). Dennoch ist dieses Erlebnis ein wichtiger Meilenstein in unserer Freundschaft gewesen und gibt uns immer wieder Anlass, die Köpfe über unsere waghalsige Ausflug Aktion zu schütteln.
Gemeinsames Plastiksammeln an den Stränden, Wanderungen durch die Natur, Zoo-Besuche oder Radtouren, das ist das Material, woraus gute Freundschaften entstehen.

Inzwischen haben wir echte Freunde gefunden und sind glücklich darüber. Spieleabende mit einem Esstisch voll Snacks und spanischem Bier finden bei uns im Wohnzimmer statt. Wir haben mit unseren Freunden Krisen durchlebt und ihre Erfolge gefeiert. Wir haben sie in ihren Wohnungen besucht und durften so an ihrem Leben teilhaben.

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Ein Kommentar

  1. Annette Lörz

    Das klingt einfach gut !!! Danke fürs mit hinein nehmen!
    Freundschaft und Verbundenheit sind tief in uns hineingelegt!

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